Üppig wie Samt und Gold
Das Opernjahr 2022 mit Tschaikowsky, Wagner und Mascagni
Mit dreimal Wagner, dreimal Tschaikowsky und Mascagnis „Cavalleria rusticana“ gehört das Opernjahr 2022 im Festspielhaus Baden-Baden ganz der Spätromantik – einer Epoche, in der die Gattung noch einmal üppig aufblüht.
Den Anfang macht Tschaikowskys „Pique Dame“ bei den Osterfestspielen 2022. Für Kirill Petrenko, der als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker die vier Vorstellungen zwischen 9. und 18. April leiten wird, „ein unbeschreibliches Juwel“, vielleicht gar „das größte Meisterwerk der russischen Opernliteratur.“ In der Neuinszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier zum ersten Mal im Festspielhaus zu hören ist Arsen Soghomonyan als Hermann. Der Armenier gilt als Shooting Star unter den Tenören, seit er in Berlin und München als Verdis Otello begeistert hat – eine der schwierigsten Partien überhaupt. Mit „Jolanthe“, unmittelbar nach „Pique Dame“ komponiert, steht eine weitere Tschaikowsky-Oper auf dem Osterfestspiel-Programm. Kirill Petrenko dirigiert diese letzte Oper des Komponisten in einer konzertanten Vorstellung am 17. April. Nach dem Thriller „Pique Dame“ schlägt Tschaikowsky in „Jolanthe“ einen märchenhaften Ton an. Sonya Yoncheva singt die Hauptrolle der blinden Prinzessin, die aus Liebe wieder sehen lernt.
Tschaikowsky reiste viel und hielt dabei die Ohren offen – auch für den Opernrevolutionär Richard Wagner. Beim Besuch der ersten Bayreuther Festspiele 1876 erlebte er die Premiere von „Das Rheingold“ und sagte voraus, dass diese Musik „noch unsre Enkel und Urenkel beschäftigen wird.“ Prophetisch – und noch untertrieben. Gleich nach den Osterfestspielen, am 30. April, wird Yannick Nézet-Séguin, Chef der Metropolitan Opera New York, im Festspielhaus „Das Rheingold“ im Konzert dirigieren, mit Rotterdam Philharmonic und einer glänzenden Besetzung um Michael Volle als Wotan. Die alle Grenzen sprengende Liebesgeschichte von Siegmund und Sieglinde, die in Wagners „Ring des Nibelungen“ an das „Rheingold“ anschließt, ist ein Höhepunkt des neuen Presence-Festivals zu Pfingsten: Dima Slobodeniuk dirigiert den ersten Aufzug aus „Die Walküre“ im Konzert mit dem SWR Symphonieorchester. Solisten sind Bryan Register als Siegmund, Camilla Nylund als Sieglinde und Dimitry Ivashchenko als Hunding.
Eine weitere Wagner-Aufführung dürfte zu einem der Glanzpunkte im Herbst beim Festival „La Grande Gare“ werden. Dem Dirigenten Teodor Currentzis liegt das Rauschhafte ebenso wie das Mystische. Nirgendwo in der Musik kommt beides so machtvoll zusammen wie in Wagners „Tristan und Isolde“. Mit seinem Chor und Orchester musicAeterna findet Currentzis immer wieder einen ganz eigenen Ton für die großen, scheinbar so vertrauten Werke des Repertoires. Man darf also gespannt sein auf einen im besten Sinne „unerhörten“ Wagner in zwei konzertanten Aufführungen am 17. und 20. November – und sich freuen auf den momentan begehrtesten Tristan der Musikwelt, den österreichischen Tenor Andreas Schager, der mit der norwegischen Sopranistin Brigitte Christensen das legendäre Liebespaar verkörpern wird.
Von Liebesrausch zu Liebesraserei: Pietro Mascagnis Eifersuchtsdrama „Cavalleria rusticana“ ist in ihrem Tempo, ihrer Knappheit, ihrem Naturalismus und ihrer tiefen Verwurzelung in der italienischen Kultur- und Operntradition eine Art „Gegengift“ zu Wagner. Und doch wusste Mascagni Wagners Errungenschaften zu schätzen und ließ sich von ihnen inspirieren: zur einem „sprechenden“ Orchester etwa, dass vorwegnimmt oder kommentiert, oder zu wiederkehrenden, erkennbaren Motiven, die verschiedene Situationen über die Oper hinweg erkennbar miteinander verknüpfen. Dirigent Thomas Hengelbrock stellt in konzertenten Vorstellungen mit dem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble am 11. und am 13. November Carolina López Moreno in der Rolle der Santuzza vor. Die bolivianisch-albanische Sopranistin, die in Deutschland aufwuchs, hat in mehreren großen Wettbewerben von sich reden gemacht und gibt ihr in „Cavalleria rusticana“ ihr Festspielhaus-Debüt.
„Wie kommt mir solch Glanz in meine Hütte?“, heißt es gleich zu Beginn des Dramas von Friedrich Schiller, das Tschaikowsky dem von ihm selbst verfassten Libretto zugrunde gelegt hat. Für das Festspielhaus im Opernjahr 2022 ist die Antwort einfach: mit aufregenden Dirigenten, international gefeierten Solisten und siebenmal großer, spätromantischer Oper.