Teil seiner Welt
Mit der SWR Big Band findet Curtis Stigers eine eigene Stimme für Sinatras Songs
Er startet mit Jazz und Blues, macht zwischendurch einen Abstecher in den kommerziellen Pop und kehrt schließlich wieder zum Jazz zurück. So könnte man die Karriere des Sängers und Saxofonisten Curtis Stigers im Schnelldurchlauf beschreiben.
Geboren wird er in Boise, einer 200.000 Einwohner-Stadt im US-amerikanischen Bundesstaat Idaho. Er lernt auf der Highschool Klarinette, Schlagzeug und Saxofon und wirkt schon als Teenager in Amateurbands mit, beschäftigt sich mit Jazz, Blues und Rock. Nach seiner Schulzeit zieht es ihn wie so viele junge Musiker in die brodelnde Szene von New York City, wo er als Sänger und Saxofonist in den zahlreichen kleinen Clubs und Bars der Metropole auftritt. In jener Zeit entstehen seine ersten eigenen Kompositionen. Stilistisch tendiert Curtis Stigers stark zum Jazz, doch er ändert seine musikalische Stoßrichtung, als er Clive Davis kennenlernt, den Chef von Arista Records. Der nimmt den jungen Künstler unter Vertrag und produziert mit ihm leicht angejazzte Popsongs, in denen Stigers singt und zwischendurch auch mal zum Saxofon greift.
Gleich das schlicht „Curtis Stigers“ genannte Debütalbum geht voll durch die Decke, verkauft sich weltweit über 1,5 Millionen Mal. Drei Songs daraus platzieren sich direkt in den Charts: „I Wonder Why“, „You’re All That Matters To Me“ und „Never Saw A Miracle“. Sie machen den Musiker mit der lässigen Langhaarfrisur weltberühmt. Für den Soundtrack des Kinohits „Bodyguard“ mit Whitney Houston und Kevin Costner steuert Curtis Stigers den Song „(What’s So Funny ’Bout) Peace, Love, And Understanding“ vom englischen Songwriter Nick Lowe in einer Neuaufnahme bei. In den Folgejahren veröffentlicht er weitere Pop-Alben, mit denen er jedoch nicht an den Megaerfolg seines Debüts anknüpfen kann. Anfang der 2000er Jahre kehrt Stigers dem Pop den Rücken und konzentriert sich wieder stärker auf die Musik, die ihm am nächsten ist: den Jazz. 2001 kommt sein erstes Jazz-Album „Baby Plays Around“ an den Start, 2003 wählt die Londoner „Times“ sein Album „You Inspire Me“ zum „Jazz-Album des Jahres“. Auch in Deutschland wird man auf ihn aufmerksam: 2010 und 2013 wird Curtis Stigers mit dem ECHO-Preis in der Kategorie Jazz ausgezeichnet. 2014 erscheint mit „Hooray For Love“ eine Platte, die vor allem Cover des „Great American Songbook“ enthält. George Gershwins Klassiker „Love Is Here To Stay“ ist dabei, Sinatras Hit „You Make Me Feel So Young“ und Gene de Pauls Kultsong „You Don’t Know What Love Is“.
Auch Curtis Stigers’ aktuelle Tour ist dem klassischen Jazz gewidmet. Sie ist eine Zeitreise in die Sechziger, zu den legendären Sinatra-Shows im „Sands“-Casino von Las Vegas. Das Herz dieser Shows war die Big Band – auch Stigers wird mit der SWR Big Band ein erstklassiges Jazzorchester zur Seite stehen. Dessen 17 Musiker wechseln traumwandlerisch sicher zwischen Swing, Jazz, Pop und den Original-Arrangements aus dem „Sands“ von Quincy Jones und dem Count Basie Orchestra.
Überraschend ist, dass Stigers erst spät auf Frank Sinatras Musik aufmerksam wurde, obwohl sie in seiner Jugend – Stigers ist Jahrgang 1965 – immer präsent war. „Sinatra war überall“, erinnert sich Stigers laut Pressetext zu seinem Sinatra-Album „One More For The Road“, „selbst in den Siebzigern, als er vorübergehend nicht mehr als ,cool‘ galt, war er doch immer Teil meiner Welt. Nicht, dass er mir damals wirklich etwas bedeutet hätte. Zugang zu ihm fand ich erst in meiner College-Zeit, als ich die Platte ,Frank Sinatra Sings For Only The Lonely‘ entdeckte. Das Album haute mich aus den Socken. Mit einem Mal wurde mir klar, dass er eine Geschichte besser erzählen konnte als es irgendjemand sonst in der Popmusik je getan hatte. Seine Fähigkeit, sich die Lyrics, die jemand anderes geschrieben hatte, anzueignen und zu einem Teil seines Lebens zu machen, so als ob sie auf ihn selbst gemünzt waren … das ist der Hammer. Er wird zu diesem Song, wenn er ihn singt.“
Die Grundlage für das Programm des Abends mit der SWR Big Band bildet Sinatras legendäres Live-Album „Sinatra At The Sands“. Darauf finden sich beliebte Jazz-Standards wie „Come Fly With Me“, „I’ve Got You Under My Skin“, „One For My Baby“, „They Can’t Take That Away From Me“, „Fly Me To The Moon“ oder auch „Don’t Worry About Me“. Die meisten Arrangements stammen von dem Trompeter und Michael-Jackson-Produzenten Quincy Jones und dem berühmten Arrangeur Nelson Riddle, dem ersten Arrangeur von Frank Sinatra, der aber auch für Stars wie Judy Garland und Ella Fitzgerald arbeitete. Dazu kommen Stigers-Hits wie „I Wonder Why“.
Wenn Curtis Stigers einen Sinatra-Hit performt, versucht er gar nicht erst, Sinatra zu imitieren, sondern nutzt die Freiräume, die ihm der Song als Interpret bietet, um darin seine eigene Persönlichkeit zu entfalten. Es gibt heute nur wenige Sänger, die das Level der Crooner der 50er und 60er Jahre erreichen. Curtis Stigers gehört dazu, wie der Jazzjournalist Werner Stiefele im „Rondo“-Magazin 2014 erklärt: „Wie einst Frank Sinatra artikuliert Curtis Stigers die Texte fast so intensiv wie ein Sprecher, und wie der Altmeister wirken die Melodien, als seien sie aus den Worten abgeleitet. Er gibt jeder Silbe ihren Wert, er bindet wenige Worte zusammen und dadurch wirkt er wie ein intonierender Geschichtenerzähler.“
Mario-Felix Vogt