06.04.23

Selbstporträt und Abschied

Ironie und späte Romantik bei Strauss

Richard Strauss blieb der traditionellen Tonalität zeitlebens treu, und so setzen die 1947/48 entstandenen „Vier letzten Lieder“ nicht nur in biographischer Hinsicht einen Schlusspunkt.

Sie sind zugleich letzte Zeugnisse der spätromantischen Epoche. In all ihrer harmonischen und instrumentatorischen Virtuosität beziehen sich die Vertonungen sehr eng auf die Texte Hermann Hesses und Joseph von Eichendorffs. Das zeigt etwa der Beginn des Liedes „Frühling“, wenn zielloses Pendeln zwischen Mollharmonien das Verharren in „dämmrigen Grüften“ schildert, gefolgt von lebhaften Wechseln freundlicherer Klänge zu den „Bäumen“ und „blauen Lüften“. Ähnlich sinnfällig reagiert Strauss in „September“ und „Beim Schlafengehen“ auf die Dichterworte. Doch trotz aller Detailtreue empfindet man seine Musik nie als reflexhaft illustrierend – seine üppigen Orchesterfarben beschwören vielmehr genau jene vergehende Schönheit, die auch die Gedichte besingen. Das von Strauss zuerst komponierte Lied, „Im Abendrot“, steht bei Aufführungen der „Vier letzten Lieder“ stets am Ende: Mit der abschließenden Zeile „Ist das etwa der Tod?“ und dem langen Orchesternachspiel bildet es ein ideales Schlussstück. Den Text über ein altes Paar am Ende des gemeinsamen Lebensweges dürfte Strauss auf sich selbst und seine Frau Pauline bezogen haben.

Pauline, in jungen Jahren eine berühmte Sängerin, hatte übrigens bereits ein halbes Jahrhundert zuvor ihren eigenen Auftritt in der Tondichtung „Ein Heldenleben“: Deren dritten, von einer Solovioline geprägten Abschnitt verstand Strauss als ihr Porträt. Ihre kapriziöse, facettenreiche Persönlichkeit spiegelt sich in Vortragsbezeichnungen wie „heuchlerisch schmachtend“, „leichtfertig“ oder „keifend“. Auch sonst dachte sich Strauss die Komposition als eine Art musikalischer Autobiographie. Er selbst bestätigte beispielsweise, dass man die dissonant schwatzenden Holzbläserfiguren und leeren Blechbläser-Quinten des Abschnitts „Des Helden Widersacher“ auf seine Kritiker beziehen könne. Allerdings erschöpft sich die Konzeption nicht im Biographisch-Anekdotischen. Im „Heldenleben“ geht es nicht zuletzt um den allgemeineren Konflikt zwischen Individuum und Masse, den Strauss noch in vielen weiteren Werken behandelte. Die Musik ist ungemein abwechslungsreich, sie bietet neben den angesprochenen humorvoll-parodistischen Stellen auch kraftvoll-heroische und zart-zerbrechliche – eine Orchesterkunst, die das damalige Publikum keineswegs als verspätet romantisch, sondern als hypermodern empfand.

von Jürgen Ostmann