15.10.24

Schwanengesang

Edward Elgars Cellokonzert

Die Eröffnung von Edward Elgars Cellokonzert erscheint symptomatisch für den resignativen Tonfall, der weite Teile des Werks prägt. Die Solistin beginnt mit Akkorden im Fortissimo, der erste über drei Saiten des Instruments, die folgenden sogar über alle vier ausgreifend. Doch diesen mächtigen Akkorden folgt eine einstimmige Melodie, zuerst leidenschaftlich im Ausdruck, dann mit stetig zurückgenommener Intensität und abfallender Tonhöhe. Der noch einmal akzentuierte tiefe Schlusston der Phrase gibt dem Ganzen eine tragische Note. Die stolze, kraftvolle Geste des Anfangs ist nach wenigen Takten in sich zusammengefallen. 

Oft ist es problematisch, den Charakter von Musikstücken auf die jeweilige Lebenssituation des Komponisten zurückzuführen. Doch in diesem Fall geht die Rechnung auf: Der Brite Elgar erreichte den Gipfel seines Ruhms im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Gegen Ende des I. Weltkriegs versiegte seine Schaffenskraft allmählich. Seit jeher hatte er zur Schwermut geneigt, doch nun wurden Nostalgie, Trauer und Verzweiflung für ihn zum beherrschenden Lebensgefühl. Freunde und Weggefährten starben in dieser Zeit, und vor allem erfuhr Elgar den Krieg, trotz des siegreichen Ausgangs für sein Land, als Ende einer Epoche, mit der er sich identifiziert hatte. 

Das Cellokonzert, fertiggestellt im August 1919, war seine letzte größere Komposition. Als er sie in sein Werkverzeichnis eintrug, notierte er dazu: „Finis. R.I.P.“ (Requiescat in pace – Ruhe in Frieden). Vor diesem Hintergrund betrachtet wirkt der Beginn des Konzerts wie ein Motto. Die besondere Bedeutung der Stelle zeigt sich im Übrigen auch daran, dass Elgar sie später noch zweimal aufgreift: zunächst am Übergang vom ersten zum scherzoartigen zweiten Satz und dann am Ende des Finales. Hier, am Schluss, wirkt das Zitat wie die Erinnerung an eine glücklichere Vergangenheit, die ein letztes Mal aufflackert. 

Jürgen Ostmann