08.06.23

Rutschpartie ins Sommerglück

Yannick Nézet-Séguin und Lisa Batiashvili mit Brahms Violinkonzert

Vom studentischen „Gaudeamus igitur“ bis zum Jahrhundert-Violinkonzert reicht dieses Romantik-Programm.

Wer Johannes Brahms’ Violinkonzert spielen möchte, sollte die Schwerkraft auf dem Instrument überwinden können. Vielleicht beschreibt dies in etwa, wie kompliziert das Wunderwerk zu spielen ist, wenngleich es dann, ist die Technik überwunden, geradezu überirdisch wirken kann. Lisa Batiashvili ist eine Geigerin, die sich mit Brahms’ Ideen ins Sommerglück stürzen kann, so wie es sonst nur Kinder bei einer Rutschpartie in einen kühlen Alpensee vermögen. Und Yannick Nézet-Séguin ist als Dirigent der kongeniale Begleiter, was er in vielen Konzerten mit dieser Ausnahme-Geigerin bewies, nicht zuletzt beim Waldbühnen-Konzert mit den Berliner Philharmonikern. Das sinfonisch angelegte Violinkonzert und Louise Farrencs erste Sinfonie beenden eine Konzertreihe, die im Sommer 2022 begann und erstmals ein Werk der fast vergessenen französischen Komponistin einer Brahms-Sinfonie gegenüberstellte. Yannick Nézet-Séguin bleibt seiner Programmidee treu und holt die Meisterwerke der Komponistin zurück ins sinfonische Kernrepertoire, wo sie hingehören. Wie urteilte die „FAZ“ noch gleich über die im Vorjahr vorgestellten Sinfonien 3 und 4 von Louise Farrenc: „… energiegeladene, ‚virile‘ Musik voller Schwung im fließenden Übergang von Klassik zu Romantik, randvoll mit rhythmischen und harmonischen Kapriolen, formal wie instrumental glänzend gearbeitet – ein stimulierendes Hörvergnügen.“ Dem Publikum im Festspielhaus verschlug diese Hör-Premiere damals förmlich den Atem. Nach dem letzten Ton der vierten Sinfonie entstand ein beredtes, ja staunendes Schweigen, bevor sich Yannick Nézet-Séguin und das Chamber Orchestra of Europe in Jubel und Applaus sonnen konnten. Wahres Sommerglück eben.