27.11.23

Nachgefragt

Sinn und Hammer

Jana Günther über Technik und Idee von „Holo Harmonies“

Jana Günther entwickelte gemeinsam mit dem Tonmeister und Sounddesigner Tobias Scherer und mit Markus Korselt, dem Intendanten des Stuttgarter Kammerorchesters, die Idee für die „Holo Harmonies“. Die Autorin, Regisseurin und Produzentin zeichnet bei „Der Tod und das Mädchen“ für die XR-Regie verantwortlich, will heißen für die Extended Reality, also für das gesamte Konzept der Hologramme, Animationen sowie für ihre technische und theatralische Verwirklichung.

Wie sind Sie auf die Idee zu dieser Produktion gekommen – gab es so etwas überhaupt schon, miteinander verbundene Hologramme an zwei so weit entfernten Orten?

Jana Günther Nein, ich wüsste nicht, dass es schon ein bilaterales Hologramm-Live-Konzert mit Orchester und Ballett gab. Ich hatte die erste verrückte Idee, die ich dann gemeinsam mit meinem Kollegen Tobias Scherer entwickelt habe, zusammen mit Markus Korselt entstand dann später das Gesamtkonzept mit der Musik. Es gab eine Ausschreibung des Auswärtigen Amtes für Internationale Zusammenarbeit, und wir dachten, es wäre doch toll, wenn man zwei Orte verbinden könnte, indem man den einen Ort jeweils an den anderen Ort beamt. Ich habe mich mit verschiedenen Experten unterhalten, die alle sagten: Das geht nicht. Ich dachte: Das kann ja nicht sein! Es war eher unwahrscheinlich, dass wir das Geld bekommen. Und jetzt haben wir den Salat, denn der Teufel liegt im Detail und es ist wirklich nicht so einfach, wir arbeiten seit vier Jahren an der Verwirklichung. Das hat tatsächlich noch niemand gemacht.

Wo genau liegen die Schwierigkeiten?

JG Wir haben zum Beispiel eine Verzögerung bei der Übertragung. Die Tänzer bewegen sich auf die Musik, der Dirigent gibt Einsätze, also sollte das Audiosignal am besten mit dem Bildsignal zusammen in Prag ankommen. Aber Audio und Kamera sind zwei verschiedene Techniken, die müssen also zusammengeklebt und von hier nach Prag geschickt werden. Dort reagieren die Künstler darauf und dann wird das Bild zurückgeschickt. Wir haben eine Verzögerung von 20 Millisekunden nach Prag, oder auch viel mehr, das kann sich verändern. Zurück sind es dann 40, und wenn es ganz dumm läuft, sind wir bei 400 Millisekunden. Deshalb haben wir uns einer Technik bedient, die auch beim Militär verwendet wird, damit das Signal eine konstante Verzögerung hat. Eine spezielle Firma ist uns zugeschaltet, um nur diese Internetverbindung und diese Verzögerung zu kuratieren. Dann brauchen wir eine „dedicated line“, eine nur für uns geblockte Internetverbindung, wo nicht andere Leute Gespräche führen oder Videos runterladen oder so. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie die Leitung besten funktionieren könnte: Gut wäre eine Satellitenverbindung, aber nur bei wolkenlosen Himmel. Oder ich hatte an Ü-Wagen gedacht, aber die brauchen Funkmasten, und bis Prag sind es 600 Kilometer, das ist ein bisschen weit. Ideal wäre eine Glasfaserleitung vom Festspielhaus direkt in die Nationaloper nach Prag. Aber unterschiedliche Länder haben unterschiedliche Internetanbindungen und es liegt nicht überall Glasfaser. Es war schon richtig schwierig, das alles zu eruieren. Wir versenden riesige Datenpakete, darf man nicht vergessen!

Wie genau funktionieren die Hologramme?

JG Wir können nicht ins Nichts projizieren, wir brauchen einen Screen aus Gaze, etwas Physisches. Man kann eben nicht durch die Hologramme hindurchgreifen. Nebel würde auch gehen, aber der bleibt nicht an einer Stelle. Geben wir der Sache noch 20 oder 50 Jahre, und es wird physikalisch möglich sein, auf fluktuierende Nebelelemente zu projizieren, die genau an Ort und Stelle bleiben. Die Gaze ist ein feiner, netzartiger Stoff, die sieht man ein klein wenig, wenn Licht darauf fällt – das brauchen die Musiker, die dahinter sitzen.

Wo genau sehen wir die Animationen?

JG Wir haben eine Dreiteilung, also eine Art Triptychon – Orchester, Tänzer und oben über der Bühne die Animationen.

Wer gibt denn den Ablauf des ganzen Abends vor, orientieren sich alle Mitwirkenden an der Musik?

JG Ich bin sozusagen der Knotenpunkt, bei der Regie laufen alle Teile zusammen. Ich habe durchweg versucht, die drei Teile zu verbinden – Musik, Tanz und Animation – und jedem genügend Raum zu geben. Von den Tempi her haben wir die aufregenderen Teile der Animationen in den zusätzlichen Kompositionen von Sven Helbig, im Intro und in den Interludes. Auch er spielt live auf der Bühne. Für die Orchestermusik haben Moritz Mayerhofer und ich langsamere Bilder gefunden, auch um dem Tanz mehr Raum zu geben. Ich finde, dass der erste Satz von Schubert das Leben des Mädchens und die erste Begegnung mit dem Tod beschreibt. Im zweiten Satz ist für mich das Mädchen gestorben, sie ist bereits gegangen, und das bedeutet für mich, im dritten Teil ist sie im Bardo. Das ist ein Begriff aus dem Tibetanischen. Ich finde dieses Konzept des Bardo sehr spannend, es bezeichnet die Zwischenwelt – dort ist man, wenn man noch nicht akzeptieren konnte, dass man tot ist oder es noch nicht verstanden hat. Im vierten Satz hat das Mädchen es dann verstanden und geht mit dem Tod. Im Intro kommen unsere Todesboten, da wird das Jenseits dargestellt, der Ort des Todes.

Für die klassischen Teile haben wir diese Monde entwickelt – der rote Mond, den man immer sehen wird, das ist für uns der Tod, die Endgültigkeit, und das Mädchen ist eine Kugel. Wir wollten ja abstrakt bleiben. Diese Kugel zeigt gewissermaßen ihre Stadien: Wie sie am Anfang komplett ist, wie sie dann im zweiten Teil Angst bekommt, wie sie im dritten zerbricht und sich neu formiert. Im vierten Teil geht sie dann ins Jenseits über.

Was ist denn am Ende der künstlerische Mehrwert bei einem so riesigen Aufwand?

JG Ich mag die analoge Kunst sehr. Aber ich glaube, dass die Digitalisierung Möglichkeiten bietet. Was wir machen, ist ein Heidenaufwand – das ist eigentlich Pionierarbeit und wird beim zweiten, dritten Mal einfacher und weniger aufwendig sein. Ich glaube einfach, dass das hier ein Anfang ist. Wir haben es bei Corona mit den Zoom-Verbindungen erlebt: dieses Zusammenkommen aus weit entfernten Orten – und jetzt erleben wir es mit künstlerischen Projekten. Das ist eine total experimentelle Phase jetzt, als ob wir in der Steinzeit sitzen, jemand hat den Hammer erfunden und fragt sich, was er damit machen kann. Ich finde das schön, dass man beides sehen kann, Orchester und Tänzer, ohne dass sie am selben Ort sind. Irgendwann in der Zukunft wird es möglich sein, neben geliebten Menschen zu stehen, obwohl sie Tausende von Kilometern entfernt sind. Und diese Zukunft beginnt jetzt.

Interview: Angela Reinhardt


Jana Günther hat sich auf die Entwicklung digitaler, meist transdiziplinärer Projekte für Kulturinstitutionen spezialisiert. Möglich macht das ihre reiche Erfahrung in so unterschiedlichen Rollen wie Autorin, XR-Regisseurin oder Creative Producer. Die notwendige Praxis sammelte sie unter anderem in Stationen beim Saarländischer Rundfunk, der Grundy UFA und bei Constantin Television. Als Autorin war sie an der „Wegesrand“-Produktion „Wo ist Goldi? beteiligt, die mit dem kanadischen International Serious Play Award 2022 ausgezeichnet wurde.

www.super-volt.de

Tobias Scherer studierte Komposition in Karlsruhe und war dort zunächst am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) beschäftigt. Nach Arbeiten für Opernhäuser und Sprechtheater in ganz Europa begann er, auch Soundtracks für Film und Fernsehen zu komponieren. Nach einem Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg arbeitete er unter anderem mit ARD, ZDF, Pro7 und UFA-Fiction zusammen. 2017 gründete er die „Tobias Scherer – Audiopostproduktion“. Seine Arbeit wurde mit renommierten Preisen ausgezeichnet.

Der Animationsregisseur Moritz Mayerhofer ist Autor und Gründer von StudioNICE creative. Seine Arbeiten wurden international auf Festivals weltweit gezeigt und erhielten zahlreiche Preise, allen voran sein Kurzfilm „Urs“, der 2011 auf der Shortlist für einen Oscar stand. Erst vor wenigen Tagen war Mayerhofer an einer viel beachteten Premiere im Londoner Barbican Centre beteiligt – mit animierten Konzertvisuals zu Alev Lenz’ Komposition „7 Planets“, uraufgeführt von dem Grammy-prämierten Vokalensemble Roomful of Teeth.
www.moritzmayerhofer.com

Sven Helbig zählt zu den vielseitigsten deutschen Komponisten der Gegenwart. Stilistisch kommt er von der elektronischen und minimalistischen Musik, die er vorwiegend für traditionell besetzte Orchester und Ensembles instrumentiert. Das macht seine Werke gleichermaßen anschlussfähig in der Klassikszene wie im Pop. Entsprechend selbstverständlich arbeitet der Mitgründer der Dresdner Sinfoniker mit den BBC Singers, dem Fauré Quartett oder dem Cellisten Jan Vogler ebenso selbstverständlich zusammen wie mit den Pet Shop Boys, Rammstein oder Snoop Dogg.
www.svenhelbig.com