Musikalische Illusionen
Wagner braucht keine Bühne, er braucht fantasievolle Zuhörer. Dann entstehen die spannendsten Bilder wie von selbst.
In seinen letzten Lebensjahren hörte Georg Friedrich Händel auf Opern zu komponieren. Er konzentrierte sich stattdessen auf Oratorien - Opern ohne Bühne, mit einer Musik, die nun selbst viel bildhafter werden musste. Bei Richard Wagner finden wir Ähnliches.
Wagners Werk lässt sich einteilen in frühe romantische Opern und späte Musikdramen. Das größte dieser Musikdramen ist der „Ring des Nibelungen“. Und während man heute Händels Oratorien auch auf der Bühne aufführt, werden Wagners Musikdramen immer öfter rein konzertant gegeben – oder, wie im Fall des „Rings“, in Orchesterauszügen. Tatsächlich braucht es bei den Musikdramen die Bühne kaum mehr. Wagners Fantasie war größer als die Theater-Wirklichkeit. In seinem Kopf schwammen etwa Rheinstöchter wie Fische im Wasser herum – auf der Bühne brauchte man dazu eine komplizierte Maschinerie, die in der Ausführung jegliche Eleganz vermissen ließ. Also hat der Komponist sämtliche Auf-und-Ab-Bewegungen im Orchester auskomponiert: wunderbare musikalische Illusionen, die jeder Hörer sofort vor seinem inneren Auge als Wasser erkennt, als Wellen, die schlanke Nixen tragen. Wie Händels Oratorien sind auch Wagners Musikdramen von solcher Bildhaftigkeit, dass es sich lohnt die Musik einmal ganz ohne Bühnenhandlung aufzuführen. Oder wie in unserem Fall: sogar ganz ohne Worte.