22.02.24

Mit Wortwitz gegen Größenwahn

Die NDR Bigband spielt Heinz Erhardt

Er dichtete. Und reimte. Und leimte Worte aneinander. Er zerfledderte Redewendungen, drehte Sprachfloskeln ins Skurrile, mimte den ängstlichen Spießer, der scheinbar schusselig die eigenen Sätze ihres Sinns entleerte und mit Nonsens füllte. Oder er kalauerte im Stil von „Alles auf der Welt geht natürlich zu. Nur meine Hose geht natürlich nicht zu!“ Heinz Erhardt, der am 20. Februar 1909 im lettischen Riga geborene Sohn eines baltischen Kapellmeisters, antwortete auf den Größenwahn des Dritten Reiches mit dem Rückzug auf das Kleine, scheinbar Unsichere, zelebrierte das Gefühl der Unterlegenheit und triumphierte mit keckem Wortwitz.

Er mimte den Kleinbürger, den Emporkömmling, den alles bestimmenwollenden Familienvater und konzentrierte sich auf die Wort- und Gedankenakrobatik. Darüber konnten auch jene lachen, deren Weltbild wenige Jahre zuvor noch das Gerede von Herrenrasse und minderwertigen Völkern bestimmt hatte. Er war – anders als „Die Insulaner“, das Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“, die „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, „Die Stachelschweine“ und ähnliche Vertreter des literarischen und politischen Kabaretts: ein Unterhalter, der keinem wehtat und nach dem Gewehrfeuer des Zweiten Weltkrieges mit Gedichten, Sketchen und Liedern Lachsalven auslöste. Sein Humor passte in die neue Behaglichkeit der Wirtschaftswunderjahre.

Damals unterhielten die Rundfunkanstalten noch Bigbands, die zunächst live und später mit eigenen Bandaufnahmen Programme gestalteten. Sie swingten (meist nur dezent), und sie verkörperten ein neues, unbeschwertes, genussfreudiges Lebensgefühl, das dem obrigkeitshörigen „Augen zu und durch“ das neue Motto „Augen auf und durch“ entgegenstellte. „Du warst ein Musiker und Dichter / ein Maler und Kaninchenzüchter / doch trotzdem war‘s dir nicht gegeben / den eignen Tod zu überleben“,

reimte Erhardt. Oder doch? Seine besten Texte faszinieren auch Jahrzehnte nach seinem Ableben noch durch die Überraschungsmomente seiner verqueren Gedanken und Wortspielereien. „Sie sind aber sehr albern heute, besonders aber diese Seite“, durchbrach er manchmal die eigenen Vorstellungen und verlangte nicht etwa wie ein Großlateiner „silentium“, sondern wie ein Bildung vortäuschender Gernegroß „cäcilium, cäcilium“. Oder er kokettierte mit seiner scheinbaren Unzulänglichkeit: „Meine besten Witze hab ich erzählt / das Publikum lächelte nur leicht gequält. / Doch Heiterkeit ohne Maß und Ziel / erregte ich, als ich vom Fahrrad fiel.“

Heinz Erhardts Weg auf die Bühne war trotz seiner Herkunft nicht vorgezeichnet. Die Eltern trennten sich kurz nach seiner Geburt. Der Vater zog nach Hannover, die Mutter nach St. Petersburg, während der Junge abwechselnd bei seinen Großeltern, seinem Vater und seiner Mutter aufwuchs. Mit vier Jahren bekam er Klavierunterricht, als Teenager komponierte er Stücke im klassischen Stil und mit siebzehn begann er ein Volontariat bei einem Musikalienhandel in Leipzig. Parallel dazu studierte er am Leipziger Konservatorium Klavier und Komposition und sammelte als Alleinunterhalter mit humorvollen Geschichten, Gedichten und Liedern Bühnenerfahrung. Nach ersten Misserfolgen schlüpfte er in die Rolle einer unsicheren, unsteten, hilflosen und frustrierten Bühnenfigur, deren Pointen so harmlos waren, dass er das „Dritte Reich“ als Begleiter der Tänzerin La Jana und als Alleinunterhalter in der Truppenbetreuung unangefochten überstand.

Bereits wenige Monate nach Kriegsende moderierte er die Radioreihe „So was Dummes“ beim NWDR, dem Vorläufer des NDR. Er spielte Theater, trat solo in Kabaretts und Varietés auf und verschaffte sich durch ein Haus in Wellingsbüttel im Hamburger Norden eine feste Heimat. Mit seiner Frau Gilda blieb er von 1935 bis an sein Lebensende zusammen.

Betuliche Filmkomödien wie „Witwer mit fünf Töchtern“ (1957) oder „Der Haustyrann“ (1959), „Natürlich die Autofahrer“ (1959) sowie Albernheiten wie „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ (1962) machten ihn zu einem der Publikumslieblinge im Nachkriegsdeutschland. Trotzdem trieb den nimmermüden Workaholic stets die Angst, schnell vergessen zu werden. Seine Schlussfolgerung: „Also kann ich mir keinen Urlaub erlauben und vor allem, ich darf nicht krank werden.“ Ende der 1960er Jahre ignorierte er erste Erschöpfungserscheinungen, bis im Dezember 1971 ein Schlaganfall das Sprachzentrum des Wortakrobaten so stark beschädigte, dass er bis zu seinem Tod am 5. Juni 1979 siebeneinhalb Jahre lang nicht mehr sprechen konnte. Dass er in den 1980er Jahren Dank seines skurrilen Humors zur Kult-Figur wurde, hat er nicht mehr erlebt.

Hatte sich Erhardt in den ersten Nachkriegsjahren selbst am Klavier begleitet, so bettet nun die NDR Bigband seine Texte in swingenden Jazz. Jörg Achim Keller, von 2008 bis 2016 Chefdirigent der Band, hat in der Traditionslinie des amerikanischen Jazz und der deutschen Rundfunkbigbands neue Stücke komponiert und fremde arrangiert. Sie bieten Annette Frier, Dietmar Bär und Stefan Gwildis eine Basis für die wiederbelebten Wortspiele, Chansons und Lieder Erhardts. Gemeinsam überbrücken sie eine Spanne von rund 80 Jahren und verdeutlichen: Heinz Erhardts Humor ist zeitlos.

von Werner Stiefele