17.05.22

Im Rausch der Zeiten

Zwei Welten prallen in diesem Konzert der Pfingstfestspiele aufeinander: das Violinkonzert von Esa-Pekka Salonen und der erste Aufzug aus Wagners „Walküre“ von 1856. Und das in konzertantem Staraufgebot: Patricia Kopatchinskaja, Camilla Nylund, Bryan Register, Dimitry Ivashchenko. Das SWR Sinfonieorchester spielt am Pfingstsonntag, 5. Juni, 17 Uhr, unter der Leitung von Dima Slobodeniouk.

Der Dirigent Dimo Slobodeniouk steht dafür, mit überraschenden Kombinationen gegen die zunehmenden Spezialisierungen anzuarbeiten, die oft mit einer Segmentierung des Publikums einhergehen. Und was wäre geeigneter als ein Festival, um dem entgegenzutreten? Das Pfingstsonntagskonzert dürfte Slobodeniouk recht geben. Wer die rasenden Tempi in Salonens Konzert in Ohr hat, wird das Gewittervorspiel der „Walküre“ sofort anders hören. Beide Konzerthälften setzen die Zuhörer unterschiedlichsten Impulsen aus – und ergänzen sich dabei erstaunlich gut. – Insbesondere in der Darbietung der Klassikstars Patricia Kopatchinskaja, Camilla Nylund, Bryan Register und Dimitry Ivashchenko.

New Yorker Clubs und Engelsgesang

Das Konzert eröffnet Esa-Pekka Salonens Violinkonzert, ein Hauptwerk des finnischen Komponisten. Die wilden mechanischen Läufe, mit denen das Stück beginnt, erinnern an ein angespitztes Vivaldi-Konzert. Die Vision einer Luftspiegelung liegt dem ersten Satz zugrunde, was die durchsichtige Luftigkeit des Beginns erklärt, wo die Sologeige auf Harfe, Celesta und Glockenspiel trifft. In einem noch wilderen Scherzo, das Strawinskys „Sacre“ in Clubmusik von heute überführt, wird ein spezielles Instrument ins Sinfonieorchester integriert: das Drumset, wie man es sonst in Rock und Jazzmusik findet. Gesungen wird in der Geige zum Schluss, und das himmlisch: Mit „Adieu“ ist der langsame, melodiöse letzte Satz übertitelt, eine Anspielung darauf, dass Salonens Zeit als Leiter des Los Angeles Philharmonic 2009 zu Ende ging.

Wagners letzte Arie: Der erste Walkürenakt

Beginnt Salonen sein Konzert rasend schnell, um dann im Adagio zu enden, ist die Tempoentwicklung bei Richard Wagner umgekehrt: Die Liebesgeschichte zwischen Siglinde und Sigmund entwickelt sich verzagt, um sich dann ins Rauschhafte zu steigern. Den Umschlag bildet Siegmunds berühmte Arie „Winterstürme wichen dem Wonnemond“. Wenn man es recht bedenkt, die einzige Arie im ganzen „Ring des Nibelungen“. Ein Aufzug Liebesmusik, als Steigerung angelegt: Kein Wunder, dass dieser Aufzug regelmäßig aus dem Zusammenhang genommen und konzertant gegeben wird.

Lauter starke Soli

So ergeben die Programmteile ein stimmiges Ganzes: erst recht vor dem Hintergrund, dass beide Male die Musik Solisten glänzen lässt. Im Violinkonzert rockt Patricia Kopatchinskaja. Das Verb passt nicht nur zum Scherzo des Konzerts, sondern bringt generell die Aura dieser Künstlerin auf den Punkt, die unter ihren Kollegen eine absolute Ausnahmestellung hält, Komponisten zu Violinkonzerten inspiriert und neue Wege selbst bei vielgespielten Werken geht. Zuletzt riss sie im Festspielhaus das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin – ausgerechnet mit Schönbergs Violinkonzert! Salonens Werk, viel zugänglicher gehalten, bietet der Geigerin lauter Gelegenheiten, ihrem Temperament in den zahlreichen Presto-Partien freien Lauf zu lassen.

Große Sängerpersönlichkeiten auch im Walküren-Aufzug: Das Baden-Badener Publikum kennt vor allem Camilla Nylund und Dimitry Ivashchenko, die im Festspielhaus wiederholt auftraten. Die finnische Sopranistin Camilla Nylund bleibt vielen Festspielhaus-Zuschauern unvergessen als Elisabeth in „Tannhäuser“ (2008). Sie war hier in vielen Rollen zu Gast, etwa in „L´Orfeo“ und in „Die Jahreszeiten“ von Joseph Haydn.

Vor nicht allzu langer Zeit war Dimitry Ivashchenko als Orlik im Tschaikowskys „Mazeppa“ unter Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern im Festspielhaus zu Gast. Davor sang der in Russland geborene Bassist hier die Partie des Sarastro in der „Zauberflöte“ unter Sir Simon Rattle, ebenfalls mit den Berliner Philharmonikern.

Der amerikanische Heldentenor Bryan Register wird hingegen am Pfingstsonntag sein Festspielhaus-Debüt feiern. Er ist an wichtigen Opernhäusern zu Gast, etwa der Oper Frankfurt, der Semperoper Dresden und La Monnaie in Brüssel. Zu seinen Rollen zählen alle großen Heldentenorpartien Wagners, Beethovens Florestan, oder der Bacchus in Strauss´ „Ariadne“.

Der russisch-finnische Dirigent Dima Slobodeniouk wird zu den Pfingstfestspielen sein Festspielhaus-Debut geben. Nachdem er 1991 als Sechzehnjähriger nach Finnland übersiedelte, dirigierte er 1999 sein erstes Orchesterkonzert. 2018 debütierte er bereits vor den Berliner Philharmonikern. Er arbeitet mit renommierten Orchestern wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Bayerischen Staatsorchester, Gewandhausorchester Leipzig, London Philharmonic Orchestra und London Symphony Orchestra sowie dem Royal Concertgebouw Orchestra zusammen.