12.12.23

Hin und weg

Auch Verschwinden ist eine Kunst: Puppenspieler Basil Twist im Gespräch über den Bühnenzauber in „Cinderella“

Basil Twist, Sie haben für die „Cinderella“- Produktion die Aufgabe erhalten, jene Szenen zu gestalten, in denen sich der Märchenzauber des Stückes voll entfaltet. Eine besondere Rolle kommt einem großen Baum zu, der eine eigene Persönlichkeit zu haben scheint. Was verkörpert dieses Bühnenelement für Sie persönlich?

Der Baum ist zentral für die magischen Transformationen, die im Stück passieren. Er symbolisiert zum einen die Verkörperung der guten Geister, die Cinderella umgeben und beschützen. Zum anderen besitzt er Zauberkräfte und setzt Verwandlungen in Gang. Zunächst sehen wir seine eigene Metamorphose, wie er größer und größer wird und zu einem mächtigen Gebilde heranwächst. Später nimmt er eine wichtige Funktion ein, wenn sich Cinderella zum Ball begibt. Für mich und Julian Crouch, den Bühnen- und Kostümbildner, war von Anfang an klar, dass dieser Baum nicht nur möglichst prächtig aussehen, sondern auch lebendig und beseelt sein muss.

Wie haucht man denn einem solch riesigen, starren Bühnenrequisit Leben ein?

Anfangs hatten wir einen Baum skizziert, der sehr gerade und aufrecht war, haben dann aber gemerkt, dass wir ihm eine kurvigere Form verleihen müssen. Dadurch gewinnt er nicht nur mehr Dynamik, sondern auch mehr Leben und als Bühnenelement eine lyrische Komponente. Um den Baum bewegen zu können, ist er aus mehreren Teilen zusammengesetzt. Es gibt Paneele, die sich in verschiedene Richtungen verschieben lassen, so dass der Baum von Szene zu Szene eine andere Gestalt annehmen kann. Es handelt sich bei diesem Baum sozusagen um ein choreografierbares Bühnenobjekt. Oder, wenn Sie so wollen, um eine riesige Marionette.

Eine Marionette, die Sie, als Puppenspieler, nicht selbst bewegen können. Stattdessen sind Sie auf Mitspielerinnen und Mitspieler angewiesen. War das eine Umstellung für Sie in Ihrer Herangehensweise?

Meine Aufgabe ist, alle Mitwirkenden von der Ballettcompagnie und der Technik zu inspirieren und miteinzubinden, damit sie die Objekte stellvertretend für mich zum Leben erwecken. Beim Puppenspiel geht es im Grunde darum, dass man sich dazu entscheidet, sich in den Dienst einer Sache zu stellen, damit diese ein Eigenleben und ihre Magie entfalten kann. Als Bühnentechniker können Sie das Seil, an dem ein zu bewegendes Objekt hängt, ganz ohne Kunst von A nach B bewegen. Aber es wird doch viel interessanter, wenn Sie die Bühnenelemente als lebendige Wesen behandeln, mit einer eigenen Persönlichkeit.

In der „Cinderella“-Version des Choreografen Christopher Wheeldon sind die Tänzerinnen und Tänzer an diesen Vorgängen maßgeblich beteiligt. Sie werden also selbst zu Puppenspielern. Ist das für einige etwas ungewöhnlich?

Wenn ich früher ins Theater kam, um mit einer Ballettcompagnie zu arbeiten, dachte ich, dass ich mit Wider - ständen konfrontiert sein würde. Denn ich verlange von den Mitwirkenden eine Haltung, mit der sie nicht vertraut sind. Als Puppenspieler muss man sein Ego zurückstellen, weil man hinter der Figur, für die man verantwortlich ist, verschwindet. Das ist ein großer Unterschied zum Selbstverständnis von Tänzern, die üblicherweise mit ihrem Körper und ihrer ganzen Persönlichkeit im Rampenlicht stehen. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es gerade dieser Aspekt des Verschwindens ist, der den Leuten Spaß macht. Unsichtbar zu werden und sich in den Dienst einer Sache zu stellen, unterscheidet sich zwar vom traditionellen Ballettauftritt, erfordert aber ebenso viel Sensibilität

Großer Theaterzauber hängt von handwerklichem Wissen und Können und von viel Übung ab. Gibt es neben den traditionellen Techniken wie dem Bewegen von Gegenständen mit den Händen auch neuere Herangehensweisen, die Sie zur Belebung von toter Materie in „Cinderella“ zum Einsatz bringen?

Dazu gehören sicher solche Effekte, wie jene, die in der Zusammenarbeit mit dem Videodesigner Daniel Brodie entstanden sind. Eine Technik besteht beispielsweise darin, dass man die Oberfläche eines Objekts fotografiert, das Bild manipuliert und es dann wieder zurück projiziert. In „Cinderella“ kann der Baum durch diesen Effekt quasi mit seinem eigenen Bild leuchten, aber auf eine merkwürdige Weise, so dass das Publikum nicht sicher ist, wie der schimmernde Eindruck zustande kommt.

Auf eine ähnlich überraschende Weise spielen Sie mit den Wahrnehmungen am Ende des ersten Aktes, wenn Cinderella zum Ball aufbricht.

Sergej Prokofjew hat für den Schluss des ersten Akts eine großartige Musik geschrieben, die den Verwandlungsmoment von Cinderella zur Ballprinzessin ganz deutlich unterstreicht. Mir und dem Produktionsteam um Christopher Wheeldon war es ein Anliegen, hier einen wirklich magischen Theatermoment zu schaffen und Karosse, Wagenräder, Pferde und Kostüm[1]elemente buchstäblich aus dem Nichts erscheinen zu lassen.

Können Sie verraten, wie dieser Trick realisiert wird?

Es handelt sich eigentlich um ein statisches Bild, aber durch das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente hat man das Gefühl, das Gefährt rase mit enormer Geschwindigkeit durch Zeit und Raum. Die Wirkung kommt dadurch zustande, dass sich alles innerhalb von Sekunden zusammenfügt, was viel Koordination erfordert.

Gibt es für solche Effekte bestimmte Materialien, mit denen Sie besonders gerne arbeiten? Dazu gehört für mich ganz sicher die Seide, aus der auch Cinderellas Schleppe sein wird. Seide ist ein fantastischer Stoff, mit dem ich sehr oft arbeite! Ihm ist eine aufregende Energie eigen und er vermittelt etwas Glamouröses und Erotisches. Für die Kutschfahrt Cinderellas ist die Seide das ideale Material, um aus dem Nichts etwas Beeindruckendes entstehen zu lassen. Die Ingredienzien dieses Effekts sind eigentlich ganz simpel: Ein Stück Stoff, ein Ventilator, Licht und geschicktes Timing. Aber wie alles zusammenkommt, darin liegt der Trick!

Interview: Serge Honegger

Basil Twist ist Puppenspieler in dritter Generation. Der in San Francisco geborene Künstler graduierte in Frankreich von der École Supérieure Nationale des Arts de la Marionnette in Charleville-Mézières. Große Aufmerksamkeit erlangte er in New York beim Jim Henson International Festival of Puppetry. Am Broadway zeichnete er für die Puppenspielszenen in „Charlie and The Chocolate Factory“, „Oh, Hello!“ und „The Addams Family“ verantwortlich.