Herzflimmern
Lucas und Arthur Jussen spielen Mozart und Schubert
Frühes Werk oder Spätstil? Bei Komponisten wie Mozart und Schubert, die Anfang 30 waren, als sie starben, klingt eine solche Frage unangemessen. Und doch ist es ein Unterscheid, ob ein 16-jähriger Mozart ein Klavierstück zu vier Händen für sich und seine Schwester Nannerl schreibt oder ob ein von Krankheit geplagter Schubert in seinem letzten Lebensjahr noch einmal seine Liebe zum vierhändigen Klavierspiel auslebt.
In Franz Schuberts Fantasie ist das Herzflimmern einkomponiert. Über dem ruhigen Allegro mode-rato setzt stockend eine melancholische Linie ein. Immer wieder brechen die schnellen, stockenden Noten in der Melodie aus: komponiertes Seufzen – und ein sehr einprägsames, leicht wiederzuerkennendes Motiv, das sich durch das ganze Stück zieht. Im anschließenden Largo-Teil setzt sich das Flimmern in den Trillern fort, von denen dramatisch die Oktaven herabstürzen. Dann lässt Schubert die Klaviere freier singen, nur kurz, wie eine Reminiszenz, bis das nervöse Flackern der Triller die nächsten Oktavstürze einleitet. Im dritten Teil, dem Allegro vivace, geht es dann im Dreiertakt fast tänzerisch zu – mit seltsamer Spieluhrmusik, die mechanisch gegen einbrechende Akkordpassagen anklingelt. General-pause: das Herzflimmern kehrt zurück mit der melancholischen Melodie des Beginns. Schubert holt noch einmal groß aus und lässt die Motive durch die Stimmen und über die beiden Klaviere wandern. Und wieder kehrt nach einer Generalpause die Melodie des Anfangs zurück: ein letztes Mal, als Epilog, mit grabdeckelschwerem Schluss. Gegen Schuberts Fantasie wirkt die D-Dur-Sonate dann vielleicht doch wie ein Frühwerk. Aber was heißt das schon bei Wolfgang Amadeus Mozart? Der Beginn gibt ein rhythmisches Rätsel auf: Wo, bitteschön, ist hier die Eins? Nach etwa einer halben Minute hört man Cherubino seine Terzen aus der Arie „Voi che sapete“ seufzen – Zukunftsmusik, denn der vorwitzige Page wird in „Figaros Hochzeit“ erst Jahre nach Komposition der Sonate Gestalt annehmen. Gesanglich ist das Andante – allerdings nicht in der üblicheren Liedform komponiert, sondern wie die beiden anderen Sätze auch in Sonatensatzform mit zwei Themen, die vorgestellt, motivisch verarbeitet und am Schluss des Satzes wiederholt werden. Mozart, der wie Schubert gern vierhändig spielte, komponierte die Sonate KV 381 für den Privatgebrauch: Die Zeiten, zu denen er mit seiner Schwester Nannerl als Kindestar-Duo mit kleinen, flinken Fingern über die enge Tastatur des Cembalos huschte, waren 1772 schon vorbei.
Mit dem Concertino op. 94 von Dmitri Schostakowitsch haben die Jussen-Brüder ein weiteres, fast schon privates Stück in ihr Programm auf-genommen. Schostakowitsch komponierte es Ende 1953 für seinen 15-jährigen Sohn Maxim. Es gibt sogar eine Aufnahme mit den beiden, die viel Temperament und Tempo hat. Die stürzenden Oktaven als Kontrast zu einer melancholischen, sakral wirkenden Melodie zu Beginn des Stücks erscheinen in einem Konzert, in dem beide Werke aufeinander folgen, wie eine Reminiszenz an die Schubert-Fantasie. Dem folgt ein für Schostakowitsch typischer, fast schon hysterisch ausgelassener Zirkusgalopp. Plötzlich wird er von der sakralen Melodie des Anfangs unterbrochen. Auch dieser Einbruch von Melancholie, den Schostakowitsch kurz vor Schluss des Stücks noch einmal wiederholt, klingt wie ein fernes Echo an Schuberts Fantasie.
Stand: 26.03.2021