12.11.22

Gänsehaut a la Siciliana

Große Opernmomente auch ohne Pappmaché und Schminke: Thomas Hengelbrock, die Balthasar-Neumann-Ensembles und umwerfende Solisten schenkten der „Cavalleria rusticana“ eine zweite Uraufführung. Das Publikum meldet sich als erstes zu Wort.

"Cavalleria Rusticana" war ein großes Fest der Gefühle. Darin ist sich auch die Presse einig:

Jetzt noch sizilianischer

Thomas Hengelbrock, einer der erfahrensten Dirigenten der historischen Aufführungspraxis, der mit seinem Balthasar-Neumann-Ensemble die „Cavalleria Rusticana“ erstmals so zur Aufführung bringt, wie sie eigentlich komponiert wurde.

Der Balthasar-Neumann-Chor sing bestechend intonationsrein, schlank, aber mit Fähigkeit zur Explosion.

Mit der jungen Carolina López Moreno gelingt Hengelbrock eine echte Entdeckung. Die Sopranistin hat durchaus dramatisches Potenzial, integriert geschickt auch die Tiefe, überzeugt aber vor allem durch ihre vielen verinnerlichten, ins Piano zurückgenommenen Farben – was die anrührender wirken lässt.

Das jugendliche Moment wird verstärkt durch die Originalklangpraxis des Balthasar-Neumann- Orchesters, in dem die Streicher, ebenfalls noch ungewohnt bei diesem Repertoire, auf Darmsaiten spielen. Weil die Violinen nicht mit ständigem Vibrato alles überschwemmen, fällt der Grundklang zarter, gleichsam keuscher aus. Zugleich lässt er mehr Raum für die tiefen Streicher und Bläser, die die dramatischen Wirkungen kantig unterstreichen. Hengelbrock setzt die Klangcharaktere scharf gegeneinander: Ein heiterer, südlicher Himmel scheint über der Oper zu schweben, leicht und beiläufig poetisch. Im Tiefengrund dieses Dorfes aber brodelt eine ebenso beiläufige, umso grausamere Tragödie.

Süddeutsche Zeitung

Ungeheure Gefühlsausbrüche

Mit höchster Leidenschaft wird in Baden-Baden musiziert und gesungen.

Der Balthasar-Neumann-Chor sang die komplexen Szenen rhythmisch-präzise und klangfarbig. Die große Überraschung aber war Carolina López Moreno als Santuzza. Sie überragte…und ist auf dem Weg, Anna Netrebko die Show zu stehlen. Ihr voller, nie scharfer Sopran ist sicher im Piano und Forte. Wenn sie innig klagt oder trotzig dem „Alleluja“ des Chores ihr „Ah! L’amour“ entgegenschleudert, würde man gern da capo rufen. Das gilt für die Aufführung insgesamt.

Offenburger Tageblatt

Große Oper und große Gefühle

Für große Oper und große Gefühle waren die Solisten zuständig, die sich nicht so leicht zäumen ließen. Allen voran Carolina López Moreno, die mit ihrem leuchtenden, in allen Lagen ausgeglichenen Sopran locker durch die originalen Tonarten kam, dazu ein emotionsgeladenes, zwischen Hass, Gebet und Verfluchung, Demütigung und Verrat schwankendes Rollenportrait abgab und ihre Gefühle auch im Schrei, im Flüstern und Sprechen artikulierte.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fulminant:

Zur Eröffnung der Herbstfestspiele im Festspielhaus warf Thomas Hengelbrock ein neues Licht auf die Bauerntragödie.

Exzellent der Balthasar-Neumann-Chor mit den beweglichen Bässen im „Cruzifixus“ und den strahlenden Sopranen im letzten Absatz. Von dem Glaubensbekenntnis schwenkt Hengelbrock nach dem „Amen“ nahtlos über zu Mascagnis Oper, die ihren Höhepunkt im österlichen Mariengesang findet. Er blendet aus dem Dom von Lucca, wo die Messe erstmals 1880 erklang, ins Dorf nach Sizilien. Ein Clou, der auf der halbdunklen Bühne wunderbar funktioniert.

Giorgio Berrugi, der den feinziselierten, in der Rossini-Tradition stehenden Part im „Et incarnatus est“ des „Credo“ übernommen hatte, verwandelt sich in den Bauernburschen Turiddu, dessen schwärmerische Siciliana seinem ausdrucksvoll warmen Tenor mehr entspricht als die Attacken des in die Enge geriebenen Ehebrechers, wo sein Gesang an Glanz verliert. Mascagnis orchestrale Stimmungsmacher, das Preludio, die morgendliche Dämmerung in der Introduzione und das berühmte Intermezzo sinfonico taucht Hengelbrock mit dem Balthasar-Neumann-Orchester in ein stimmungstrunkenes, fast schon impressionistisches Farben- und Lichterspiel.

Badisches Tagblatt

Lavastrom der Gefühle

Ein Fest für den Balthasar-Naumann-Chor, der sich mit virtuosen Passagen in den Auftritt des von Domen Križaj weniger raubeinig als gemeinhin, sondern fast tänzelnd elegant wie Bizets Toreador gesungen Alfio mischt, sich im Mariengesang weiträumig entfaltet und operettenseelig in Turiddus Brindisi wippt.

Elegant wie eine Schwester der Carmen verführt derweil Eva Zaicik als Alfios Gattin Lola den irregeleiteten Turiddu. Die üblicherweise einem dramatischen Mezzo oder Sopran zugeteilte Partie der Santuzza, liegt nun höher und „kann von einem echten Sopran gesungen werden“. Mit ihrer funkelnden Höhe gelingt das Carolina López Moreno ziemlich gut. Zwar klingt ihr Sopran in dramatischen Passagen nicht ungefährdet, muss auch sie beim herausgeschleuderten Fluch „A te la mala Pasqua“ zur verzerrten Bruststimme greifen, doch ihre glamouröse Interpretation fesselt. Wenn sie nach Turiddus Ermordung in die Arme der von Elisabetta Fiorillo mit markanten Stimmresten auf die Bühne gestemmten Mutter Lucia fällt und schließlich zu Boden sinkt, wird das Konzertpodium zur Opernbühne.

Badische Neueste Nachrichten

Anhaltende Spannung bis zum letzten Takt

Faszinierend, wie es Thomas Hengelbrock mit den Balthasar-Neumann-Ensembles und einem grandiosen Solistenensemble in dieser konzertanten Aufführung im Festspielhaus Baden-Baden gelang auf engstem Raum ein Höchstmaß an emphatisch aufblühender Melodik mit dramatischer Tragik zu verbinden. Ein Höchstmaß an empathisch aufblühender Melodik.

bachtrack