20.11.23

Ein Leben mit Kunst, die groovt

Veit Kloeters über „Connexión“, die Neugierde und das Basteln

Herr Kloeters, wieso gründet man ein Percussion-Ensemble?

Das ist wie bei jedem Ensemble: Weil man Lust hat, gemeinsam Musik zu machen und eine Idee verfolgt.

Welche Vorteile hat ein Ensemble im Vergleich zu den solistischen „Einzelkämpfern“?

Bei uns steht nicht die einzelne Künstlerpersönlichkeit im Vordergrund, sondern die Idee und die Weiterentwicklung der Möglichkeiten. Und wir können als Ensemble ganz andere Musik machen, denn für die ganze Elektronik und die Visuals braucht man eben mehr als zwei Hände.

Sie haben sogar eine GbR gegründet, ein „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“...

Das ist eine reine Abrechnungsbequemlichkeit. Wir haben gemeinsam ein großes Studio und das ganze Equipment haben wir gemeinsam gekauft. Wenn man da ausrechnen wollte: Ich kaufe die Marimba und du die große Trommel – das würde kompliziert.

Mit welche Summen hat man es bei Ihrem Instrumentarium zu tun?

Wenn man das alles zusammenrechnet, wird das schnell sechsstellig. Wir sammeln ja auch außergewöhnliche Instrumente, bringen aus dem Urlaub immer besondere Glöckchen und Klangschalen mit.

Dann suchen Sie ständig nach neuen Klängen?

Das ist so etwas wie unser Markenzeichen.

Könnten Sie die Ensemblephilosophie in einem Satz zusammenfassen?

„Kunst, die groovt“ – so steht es auf unserer Website. Auch wenn man das als nicht versierter Konzertgänger liest, versteht man ungefähr, was gemeint ist. Vor allem geht es uns darum, ein ganzheitliches Showkonzept zu entwickeln. Zuletzt haben wir mit unserer „Posterity“-Tour versucht, Visuals, Bildelemente, Hologramme und Musik miteinander zu verbinden. Um zu sehen: Wo könnte die Reise noch hingehen?

Was genau ist denn bei „Connexión“ an Technik zu erwarten?

Wenn es gut läuft, merkt das Publikum davon nicht so viel. Wir machen das ja nicht, weil wir's können, sondern weil wir es künstlerisch einbinden wollen. Wie im Opernbetrieb, wo auch ein großer technischer Hintergrund notwendig ist. Die meisten Effekte braucht „Orbital“ von John Psathas, da werden Orchester, Schlagwerkensemble, Elektronik und Tape kombiniert. Wir spielen dabei mit Echtzeit-Audioeffekten, was die E-Gitarristen seit 40 Jahren machen: Wir verändern den Klang unserer Instrumente. Diese Möglichkeit, mit Delays oder Hall-Räumen zu arbeiten, haben auch die Instrumentalisten des Orchesters. Dazu kommt ein Backtrack vom Band.

Und die Videos? Sind die vorbereitet oder passen sie sich der Musik an?

Beides. Die Visuals sind vorbereitet, verändern sich aber mit der Musik. Unser VJ bekommt das Komplettsignal, das letztlich auch das Publikum hört. Darauf stimmt er die Visuals ab. Was bei uns besonders ist, ist unsere Hologramm-Gaze: ein Vorhang zwischen Publikum und Bühne, den man nicht sieht, auf den aber Videoelemente projiziert werden können. Das sieht dann aus, als würden sie frei im Raum schweben.

Wie schwer fällt klassischen Musikern die technische Verfremdung der eigenen Klänge?

Da ist sehr unterschiedlich, aber den meisten macht es einen Riesenspaß, weil es absolutes Neuland ist.

„Orbital“ wurde ja für Ihr Ensemble geschrieben, welchen Einfluss hatten Sie da?

Wir dürfen behaupten, dass wir die gesamte Idee entwickelt haben. Wir hatten ja schon früher zusammengearbeitet, und Psathas war immer offen für alles. Deshalb haben wir gesagt, es wäre doch mal toll, all das in einem einzigen Stück zusammenzubringen. Dann haben wir mit ihm eine sehr lange Liste mit Equipment und Ideen erstellt – und dann hat John Psathas die Kompositionsarbeit übernommen.

Keiko Abes „The Wave“ ist dagegen ursprünglich ein „klassisches“ Werk für Schlagzeug gewesen. Wie passt das in Ihr Programm?
„The Wave“ hat eine vollkommen analoge Urkraft, es ist gewissermaßen das Gegenstück zu „Orbital“. Das Stück heißt ja nicht umsonst „Die Welle“. Es gibt Passagen, die sind so groß, dass man sich wundert: Warum wurde das nicht gleich für Orchester geschrieben?

Sie beginnen das Konzert mit Emmanuel Séjournés Stück „Attraction“. Das ist ja eigentlich für Percussion und Tape gedacht. Warum haben Sie es bearbeitet?

Zum ersten Mal hatten wir „Attraction“ in einem Konzert mit dem Pianisten Frank Dupré auf dem Programm. Damals haben wir uns gefragt: Wie kriegt man diese orientalischen Klänge hin, die auf dem Tape sind? Wie simuliert man am Schlagzeug eine Sitar, ohne das Instrument spielen zu können? Dann haben wir E-Gitarren abgeklebt und mit Effekten bearbeitet, damit sie wie eine Sitar klingen. Von da ging dann der Schritt zu dieser Orchesterfassung, die erstaunlich gut funktioniert. Kürzlich hat uns Séjourné sogar gebeten, ihm die Noten zu schicken – er möchte sich anschauen, was aus dem Stück so alles werden kann.

Braucht man als Schlagzeuger Talent zum Basteln?

Das ist vielleicht sogar existenziell. Schlagzeug ist ganz eng verbunden mit Materialforschung und Experimentierfreude.

In „Orbital“ bespielen Sie sogar ein Verkehrsschild ...
Wir hatten mit John Psathas vereinbart, dass das konkrete Instrumentarium erst nach dem Kompositionsprozess gefunden werden soll. Wenn man dann also eine Passage für virtuose Metallklänge hat, geht man auf die Suche und klopft auf vielen Dingen herum. Rafi ist damals in Aachen auf den Schrottplatz gegangen und hat ausprobiert, was gehen könnte. Dann kam er mit dem Verkehrsschild und der Schiffsschraube nach Hause.

Wo sehen Sie das Konzert der Zukunft – eher in derart ganzheitlichen Konzepten aus Instrumenten, Elektronik und Visuals als im „klassisch“ Analogen?

Ich bin kein Freund von „ganz oder gar nicht“. Ich finde klassische Konzerte toll, aber es ist gut, eine gewisse Abwechslung zu schaffen. Es wäre schön, wenn so etwas, was wir machen, einfach normal würde. Für Crossover-Konzerte – den Begriff mag ich eigentlich nicht – wird ja meistens nur etwas zusammengesetzt, was es vorher schon gab. Für „Orbital“ haben wir alles zusammen von Anfang an konzipiert.

Erreicht man mit so einem Konzept ein neues, junges Publikum?
Das ist uns auch ein großes Anliegen. Aber eigentlich wundern wir uns, warum das nicht öfter gemacht wird. Wenn man eine junges Publikum gewinnen will, liegt es doch nahe, mal außerhalb des Klassikbereichs zu schauen, was so passiert. Ich werde oft gefragt: Warum machen Sie etwas mit Visuals? Ich denke dann: Warum denn nicht? Jedes Restaurant macht die Räume schön, das Essen soll toll aussehen, man will schöne Möbel haben. Das Auge spielt überall eine Rolle. Nur im klassischen Bereich ist man da sehr zurückhaltend.

Haben Sie eine Idee, woran das liegt?

Ich glaube, weil man den einzigen Fokus auf den Klang richten will. Der ist unantastbar. Wie in einem Dunkelrestaurant, wo es nur ums Schmecken geht!

Interview: Klemens Hippel