Die K-Frage
Mahlers Adagietto
Die Vermarktung von Gustav Mahlers Adagietto aus der fünften Sinfonie als Filmmusik hatte nicht nur positive Effekte. Viele konnten es nach Luchino Viscontis Kinoklassiker „Tod in Venedig“ aus dem Jahr 1971 nur noch mit den entsprechenden Filmszenen im Kopf hören. An die zerfallene Lagunenstadt dachte der Komponist aber keinesfalls. Doch woran dann?
Die Musik wird lediglich von Streichern und einer Harfe gespielt. Das lässt an jene musizierenden Engel denken, die auch die Wiener Jugendstil-Kunst eines Gustav Klimt kennt. Dieses Adagietto steht zwar in Dur, verströmt aber eine melancholische Aura. Das hat mit einem von Mahler bewusst eingesetzten Kniff zu tun: Er löst eine Dissonanz auf dem Taktschwerpunkt stets langsam in eine Konsonanz auf. Der musikalische Fachbegriff hierfür ist „Vorhalt“ – klanglich erinnert es an einen Seufzer. Der lyrische Melodiebogen in diesem Satz ähnelt darüber hinaus einem Gesangsstück. Bemerkt wurde eine Nähe zu Mahlers Rückert-Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ aus dem Jahr 1901.
Das so bezaubernde Adagietto der Fünften könnte aber auch ein Liebesgruß an Mahlers junge Frau Alma sein, die er während der Komposition heiratete. So sah es der mit Mahler befreundete Dirigent Willem Mengelberg. Der Musikwissenschaftler Bernd Sponheuer sprach von einem „leicht sentimentalen Lied ohne Worte“. „Leicht sentimental“ – da kräuseln sich die Lippen des Kenners. Mahlers Adagietto stand von Beginn an unter Kitschverdacht. Doch wer könnte sich im Konzert seiner Wirkung entziehen?
von Matthias Corvin