Der Klang ihrer Seele
Lisa Batiashvili im Interview
Lisa Batiashvili tritt als Artist in Residence der Berliner Philharmoniker bei den Osterfestspielen 2024 in Baden-Baden auf. Ein Gespräch über Herkunft, Verantwortung und Wunder, die wahr werden.
Wenn man Ihnen beim Spielen zuschaut, dann sieht alles so leicht aus, auch bei den schwersten Stucken. Woher nehmen Sie diese Leichtigkeit beim Spiel?
Lisa Batiashvili: Die Leichtigkeit nehmen die Leute von außen wahr. Für mich als Geigerin ist es ein anspruchsvoller und komplexer Prozess, weil so viele Aspekte zusammenkommen. Ich fühle eine große Verantwortung gegenüber der Musik, den Kollegen und dem Publikum. Auf der Bühne bin ich so fokussiert wie kaum sonst im Leben, und gleichzeitig muss ich dafür sorgen, mich wohlzufühlen. Nur so kann ich mich beim Spiel ganz öffnen.
Sie verfügen über eine enorme Ausdrucksintensität und einen großen Klangfarbenreichtum. Wonach suchen Sie bei der Gestaltung Ihres Klangs?
Für mich ist mein Klang wie eine Stimme. Viele Musikerinnen und Musiker sind der Meinung, die Schönheit des Klangs sei weniger wichtig als der Ausdruck. Den braucht man auch. Aber für mich spiegelt der Klang der Geige – wie die menschliche Stimme – die Seele des Musizierenden wider. Der Klang hat viel mit meinen eigenen Emotionen zu tun. Ich möchte mit ihm Menschen animieren, in sich zu gehen und die eigenen Gefühle zu reflektieren. Ich bin zudem überzeugt, dass Klang auch etwas mit der eigenen Herkunft zu tun hat. Ich erkenne beispielsweise viele Künstler aus Georgien am Klang. Liegt es an der Volksmusik oder der Musik, die man als Kind gehört hat? Wer weiß es? Meiner Meinung nach hat die Kultur und die Erziehung eines Menschen einen großen Einfluss auf seine individuellen Klangvorstellungen.
Sie lebten bis zu Ihrem zwölften Lebensjahr in Georgien, kamen dann 1991 nach Deutschland. Wie haben diese beiden unterschiedlichen Kulturen Ihre Persönlichkeit geprägt?
Ich bin noch in der Sowjetunion geboren und habe nach 1989 Georgiens Kampf für Unabhängigkeit erlebt. Als ich dann nach Deutschland kam, fühlte ich mich natürlich zunächst fremd. Doch sehr schnell entwickelte ich eine besondere Nähe zu der deutschen Kultur und ich entfernte mich von der georgischen. Erst als ich selbst Kinder bekam, entdeckte ich die Georgierin in mir wieder. Heute empfinde ich es als ein unglaubliches Glück, dass ich beide Kulturen in mir trage.
Ich empfinde es als ein unglaubliches Glück, dass ich die georgische und die deutsche Kultur in mir trage.
2021 haben Sie die Lisa Batiashvili Foundation für georgische Künstlerinnen und Künstler gegründet. Was wollen Sie damit erreichen?
Ich möchte meiner Heimat Georgien, die ich als Kind verlassen habe, etwas zurückgeben. Es gibt dort junge Künstlerinnen und Künstler, die mich mit ihrem Talent so berührt haben, dass ich sie auf ihrem Weg unterstützen möchte. Die neue Generation hat eine unglaubliche Vielfalt an Talenten und eine große Bedeutung für unsere Zukunft in der klassischen Musik. Diese jungen Musikerinnen und Musiker können so vieles schon so früh und das möchte ich unterstützen. Georgien ist ein Land, das künstlerisch sehr weit ist und viele großartige Künstler zu bieten hat – für uns Georgier sind sie eine große Kraft und Stärke. Diese Künstler durch die Kultur und Musik so bekannt und sichtbar wie möglich zu machen, hilft unserem kleinen Land.
Sehr jung, mit Mitte 20, gaben Sie Ihr Debut bei den Berliner Philharmonikern. Seither treten Sie regelmäßig mit ihnen auf. Was bedeutet Ihnen dieses Orchester?
Ich empfinde die Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern als sehr bereichernd. Und ich bin so dankbar für die spannenden Projekte, die mich in dieser Saison als Artist in Residence erwarten. Für mich sind die Philharmoniker nicht einfach nur ein Spitzenorchester, sondern ein Kollektiv unglaublich großartiger musikalischer Persönlichkeiten. Wenn ich mit ihnen auftrete, habe ich das Gefühl, ich bin von Kolleginnen und Kollegen umgeben, die mit genauso viel Leidenschaft musizieren wie ich. Dieses Orchester hat mich schon als Kind fasziniert. Ich bin mit den Aufnahmen der Berliner Philharmoniker aufgewachsen und wünschte mir nichts sehnlicher, als einmal mit ihnen aufzutreten. Das erschien damals zu Sowjetzeiten vollkommen unrealistisch, aber dann wurde es wahr! Und diese Residency ist die Fortführung einer langjährigen künstlerischen Freundschaft.
Seit dem Kaukasuskrieg 2008 treten Sie nicht mehr in Russland auf und haben sich klar gegen Putin positioniert. Sie fühlen sich ihrem Nachbarland Ukraine, das Putin mit Krieg überzogen hat, sehr verbunden.
Für mich war es schon immer wichtig, einen Standpunkt zu vertreten und mir bewusst zu machen, was sich hinter den Taten der Politiker verbirgt und welche Konsequenzen daraus folgen, wenn ich als Künstlerin nicht wirklich darüber nachdenke, wo und mit wem ich auftrete.
Kommen wir noch mal auf die Musik zurück. Sie spielen eine Geige von Guarneri del Gesu von 1739, davor war es eine Stradivari aus dem Besitz des Brahms- Freunds Joseph Joachim. Was hat Sie bewogen, auf ein Instrument von Guarneri zu wechseln?
Zunächst spielte ich eine Stradivari, und dann bin ich durch einen glücklichen Zufall dieser wunderbaren Guarneri del Gesu begegnet, die überraschend das Instrument meines Lebens wurde. Eigentlich interessierte ich mich für eine andere Geige, aber dann wurde mir diese mit den Worten in die Hand gedrückt: „Probier’ die mal!“ Der Klang überzeugte mich sofort und ich fand sie sehr komfortabel. Inzwischen spiele ich die Guarneri schon seit fast zehn Jahren und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht unglaublich glücklich über diese Geige bin. Egal, in welchem Saal ich spiele, egal, wie die Akustik ist, diesem Instrument kann ich komplett vertrauen. Und das erleichtert das Leben sehr.
Das Interview erschien ursprünglich in einer längeren Version in: Phil – Das Magazin der Berliner Philharmoniker, Heft 2, 2023/24, Interview von Nicole Restle