Damals im Jetzt
Baden-Baden als Stadt der musikalischen Moderne
Die Frage, ob es in der Musik eine Gegenwart gibt, ist nicht so leicht zu beantworten. Schließlich ist ein Ton, der am Ohr der Zuhörerschaft ankommt, für das Orchester bereits ein verklungener. Geigerin und Trompeter denken bereits an den nächsten und hören den soeben erzeugten innerlich „nach“, um Intonation und Akzentuierung zu „prüfen“. Schon deshalb ist ist „Gegenwart“ in der Musik so subjektiv wie in kaum einer anderen Kunst.
Und ein Orchester?
Es ist immer ein Ensemble der Gegenwart, nie eines der Vergangenheit oder der Zukunft. Und dennoch schwingen Mythen der Vergangenheit auch in Orchesterauftritten mit – das ist beim SWR Symphonieorchester nicht anders. Ob im Südwestfunk, beim Süddeutschen Rundfunk oder im später fusionierten Südwestrundfunk: Immer wurden bedeutende Konzerte gespielt, weltweit beachtete Aufnahmen produziert und aufregende Dirigenten nach Baden-Württemberg gelockt.
In Baden-Baden entstand, etwas entgegen dem Klischee, nach 1945 ein Mekka der Moderne und der Gegenwart für die Orchestermusik. Hans Rosbaud begründete diese Tradition in der französischen Besatzungszone, wenngleich die Musik der Moderne auch im 19. Jahrhundert und erst recht in den 1920er-Jahren in Baden-Baden eine wichtige Rolle spielte. Als die Donaueschinger Musik- Tage für ein paar Jahre in Baden-Baden stattfanden, „rockten“ Künstler wie Kurt Weill, Paul Hindemith, Bertolt Brecht, Béla Bartók und Hanns Eisler die Stadt. Die Filmmusik wurde diskutiert und ein Radiostudio in der Ooser Schützenhalle nachgebaut, um Konzertexperimen-te mit Publikum UND Technik zu wagen. Begriffe wie „Partizipation“ waren zwar noch nicht en vogue, wurden aber schon mit musikalischem Leben gefüllt. Im „Lindberghflug“ sollte das Publikum die auf eine Leinwand projizierten Noten mitsingen, was misslang und heiß diskutiert wurde.
Die Musik der Gegenwart, ihre Komponisten und Interpreten formten ein lebendiges Festival, das international bedeutend war und es bis heute in Donaueschingen ist. Die erzwungene Generalpause für die in Freiheit komponierte Musik endete in Baden-Baden 1945. Danach begründete eben jener die Moderne zu allen Zeiten liebende Hans Rosbaud die Weltstadt der Orchester- Moderne und begrüßte Stars wie Igor Strawinsky und Olivier Messiaen nach dem Krieg im eilig errichteten Sendesaal am Fuße des Fremersbergs. Das Orchester machte schnell von sich reden, gastierte international – nicht zuletzt in Aix-en-Provence, was zumindest in Fotos festgehalten ist.
Auch diese Gegenwart der Vergangenheit schwingt mit, wenn wir zu Pfingsten ein neues Gegenwartsfestival begründen, in dem das SWR Symphonieorchester seine Residenz in Baden-Baden bezieht und in seinen Programmen auch solche „Neutöner“ wie Richard Wagner und Gustav Mahler zu Wort kommen lässt, deren Erneuerungen wir schon tief verinnerlicht haben.