Auf Trophäenjagd
Ein kleines Künstlercafé im Herzen Stuttgarts. Bunte Gemälde hängen an den Wänden, der Duft von frisch gebackenem Kuchen liegt in der Luft. „Hier habe ich als Studentin viele Stunden verbracht“, sagt Carolina López Moreno lächelnd und nimmt an einem der Tische Platz. Die Sopranistin mit den langen braunen Haaren und den großen dunklen Augen ist nicht allein gekommen. Zu ihren Füßen liegt Rottweilerhündin Ilia. Seit sechs Jahren ist sie Carolinas treue Begleiterin. Bei jeder Probe, jedem Konzert und jeder Opernaufführung ist Ilia mit dabei. Eine feste Konstante in einem bewegten Künstlerinnenleben.
Es sind aufregende Zeiten für die junge Sängerin. Wichtige Debüts füllen ihren Terminkalender. Zuletzt war sie an der Opéra Royal de Wallonie im belgischen Lüttich als Puccinis Suor Angelica engagiert. In Pisa gab sie ihre erste Leonora in Verdis „Troubadour“. Am meisten bedeutet habe ihr aber ihr Österreich-Debüt im Sommer 2021 in der Oper im Steinbruch, der größten Naturbühne Europas. Dort glänzte sie als treuherzige Liù in Puccinis „Turandot“. „Das war meine Trophäe nach über einem Jahr Pandemie“, reflektiert sie heute. Speziell dieses Debüt habe ihr gezeigt: Du bist auf dem richtigen Pfad. Und der hat Carolina López Moreno über Umwege auf die Opernbühne geführt.
Musik habe schon früh eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt, sagt sie. Als zweitjüngstes von sechs Geschwistern wächst sie im schwäbischen Reichenbach an der Fils auf. Der Vater stammt aus Bolivien, ihre Mutter ist gebürtige Albanerin. Im Hause López Moreno wird viel gesungen und getanzt, vor allem zu lateinamerikanischer Musik. Das Leben in der Großfamilie hat Carolina geprägt. Sie ist ein Teamplayer, geht gern und offen auf Menschen zu, was ihr bis heute so manche Tür öffnet. Doch auch finanzielle Engpässe erlebt sie mit. Dazu meint die 30-Jährige: „Wir sind mit wenig Geld aufgewachsen, aber mit sehr viel Liebe. Deshalb würde ich nie sagen, dass wir arm aufgewachsen sind.“
Mit sechs Jahren bekommt sie ihren ersten Klavierunterricht. Mit zwölf schreibt sie bereits eigene Songs. „Meine Stimme war schon immer das Ventil, um mich auszudrücken“, erinnert sie sich. Ihre Mutter erkennt Carolinas Potenzial, schickt sie zum Gesangsunterricht und meldet sie im Chor der Jungen Oper Stuttgart an, wo sie erstmals Bühnenluft schnuppert. Auch ihr erster Opernbesuch fällt in diese Zeit. Bellinis „Norma“ wird zu ihrem Schlüsselerlebnis: „Mir sind die Tränen runtergerollt. Ich habe zwar kein Wort verstanden, aber ich war so berührt von der Musik!“ Von hier aus hätte ihr Weg schnurstracks auf die Opernbühne führen können. Auch die zahlreichen Wettbewerbserfolge bei „Jugend musiziert“ sprechen für das junge Talent. Doch Carolina entscheidet sich anders. Sie konzentriert sich auf den Popgesang. Auch der Tanz rückt mehr in den Fokus: Ballett, Hiphop und Salsa.
Mit 18 beginnt sie ein Musicalstudium in München. Im Gesangsunterricht verliebt sie sich dort ein zweites Mal in die Oper. „Ich habe gespürt, dass da etwas Gigantisches ist, was ich noch nicht kenne. Ich musste diese Welt kennenlernen“, erklärt die Sopranistin rückblickend. Sie bricht ihre Musicallaufbahn ab und wechselt an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.
Ihr Gesangsstudium bei Francisco Araiza und Ulrike Sonntag absolviert sie mit Auszeichnung. Kaum hat sie den Abschluss in der Tasche, veröffentlicht sie ihr Debütalbum „Il bel sogno“. Der „schöne Traum“ wird per Crowdfunding Wirklichkeit. Bei der Fernsehproduktion „SWR Junge Opernstars“ verzaubert sie mit ihrem klaren, lyrischen Sopran, der vor allem in den Höhen wunderbar aufblüht. 2018 geht sie nach New York an die Manhattan School of Music. Dort wird Carolina López Moreno von ihrer Agentin entdeckt und lernt die italienische Sopranistin Donata D’Annunzio Lombardi kennen, die zu ihrer Mentorin wird. „Donata kennt mich und mein Instrument wie kein anderer. Wenn ich eine Rolle angeboten bekomme, dann ist sie die Allererste, die ich anrufe“, offenbart Carolina. Auch als sie vom Festspielhaus Baden-Baden die Anfrage bekam, die Partie der Santuzza in Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ zu übernehmen, holte sie sich Rat bei ihrer „Maestra“.
Einen jungen, lyrischen Sopran hört man eher selten in dieser Rolle. Meist sind es die voluminösen Mezzo-Stimmen, die Santuzzas Verzweiflung über ihre unerwiderte Liebe zu Turiddu Ausdruck verleihen. Dabei hat Mascagni diese Partie einer Sopranistin auf den Leib geschrieben. Die 25-jährige Gemma Bellincioni war 1890 seine erste Santuzza. Auch die 15-jährige Maria Callas brillierte in dieser Rolle, als sie 1939 ihr Bühnendebüt gab. „Santuzza ist ein junges Mädchen von 16 oder 17 Jahren“, erklärt Carolina mit leuchtenden Augen. „Ich bin der Meinung, dass so viele Besonderheiten in den Noten stecken, die oft nicht erkennbar sind, weil sie zu kräftig gesungen werden. Meine Stärke ist es, alle emotionalen Facetten mit meinem Instrument umzusetzen und dabei auch dynamisch in die Extreme zu gehen.“
Zusammen mit Thomas Hengelbrock begibt sich die bolivianisch-albanische Sopranistin zurück zu den Wurzeln dieser Partie. „Ich bin so gespannt, was ich von dieser Rolle lernen werde“, sagt Carolina beim Verlassen des Cafés. Ilia wird auch in Baden-Baden an ihrer Seite sein.
Autorin: Tabea Dupree